PersonalDirekt Frankfurt Das Onlinemagazin des Jobcenters Frankfurt am Main
Das Onlinemagazin des Jobcenters Frankfurt am Main

Alle Potenziale voll ausschöpfen und verstärkt auf Qualifizierung setzen Ein gemeinsames Interview mit Jobcenter-Geschäftsführerin Claudia Czernohorsky-Grüneberg und den beiden alternierenden Beiratsvorsitzenden Rechtsanwalt Friedrich Avenarius (VhU / Hessemetall) und Soziologe M. A. Philipp Jacks (DGB)

Frau Czernohorsky, das Jobcenter Frankfurt am Main entstand 2005 mit der Einführung der Reform für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt („Hartz IV“). Es hat jetzt sozusagen die Volljährigkeit erreicht. Sie selbst tragen fast von Anfang an in der Geschäftsführung Verantwortung. Was haben Sie in diesen Jahren erreicht? Wie ist das Jobcenter heute aufgestellt?

Claudia Czernohorsky-Grüneberg: Das Jobcenter ist „erwachsen“ geworden, genauso wie auch die Grundsicherung mit der Reform des Bürgergeldes zum 01.01.2023 in das „Erwachsenenalter“ eintritt. In 18 Jahren sind viele Entwicklungen angestoßen worden. Wir haben uns intensiv mit unserem Auftrag, die Arbeitslosigkeit und die Vermittlungshemmnisse der Klientel abzubauen, auseinandergesetzt. Im Jobcenter Frankfurt haben wir dies sowohl in den Strukturen als auch in den Prozessen umgesetzt. Um nur einige Beispiele zu nennen:

Das Drei-Türen-Modell für eine bedarfsgerechte Beratung und Betreuung, unser 2018 eingeführtes eigenes Qualifizierungszentrum zur einheitlichen Einarbeitung neuer Mitarbeiter:innen, unser intern und partizipativ ausgearbeiteter Wertekanon, der seit November 2021 veröffentlicht ist und seither durch verschiedene Arbeitsgruppen in der Praxis lebendig gehalten wird, sowie die besonderen Beratungsformate von beschäftigungsorientiertem Fallmanagement, Lebenslagenberatung, Familienstart als freiwilliges Angebot für junge Mütter, das Projekt ProGes im Rahmen des Bundesprogramms rehapro zur Förderung der physischen und psychischen Gesundheit und schließlich die Umsetzung des Teilhabechancengesetzes.

Das SGB II hat uns einen großen Rahmen mit vielen Möglichkeiten zur Gestaltung der aktiven Arbeitsmarktpolitik gegeben.

Der soziale Auftrag des Jobcenters gilt unverändert damals wie heute, nämlich durch Geldleistungen die Existenz von Menschen zu sichern, die auf staatliche Leistungen der Grundsicherung angewiesen sind. Welche Dimension hat diese Aufgabe gegenwärtig?

Claudia Czernohorsky: Derzeit versorgt das Jobcenter Frankfurt 67.788 Menschen in der Grundsicherung mit finanziellen Leistungen, darunter 19.230 Kinder bis 15 Jahre. Unsere Aufgabe beschränkt sich nicht nur auf die Sicherstellung von Geldleistungen, sondern umfasst auch die intensive Beratung von Bürger:innen in den unterschiedlichsten Lebensphasen sowie die Begleitung auf ihrem Weg zurück ins Erwerbsleben. Wir bieten sowohl soziale als auch berufliche Unterstützungsangebote: Soziale Unterstützungsangebote, um Bürger:innen bei der Bewältigung unterschiedlichster gesundheitlicher und psychosozialer Herausforderungen zu helfen und die soziale Teilhabe in unserer Gesellschaft zu ermöglichen. Berufliche Unterstützungsangebote wie Coachings, Qualifizierungen und Ausbildungen, um den Weg in eine nachhaltige Integration in den Frankfurter Arbeitsmarkt und Ausbildungsmarkt zu ebnen.

Herr Jacks, Sie gehören in der Nachfolge von Harald Fiedler als DGB-Vertreter schon mehrere Jahre dem Beirat des Jobcenters an. Betrachten Sie die Arbeit des Jobcenters als einen wesentlichen Beitrag zur Sicherung des sozialen Friedens in der Rhein-Main-Region, gerade in der aktuellen Situation mit rasant steigenden Lebenshaltungskosten?

Philipp Jacks: Auf jeden Fall leistet das Jobcenter einen Beitrag zur Sicherung des sozialen Friedens. Dafür sind wir dem System und den Mitarbeiter:innen sehr dankbar. Ohne die Dienstleistung des Jobcenters würden viele Menschen in Armut und Obdachlosigkeit leben. Welche Folgen dies für sie und ihre Familien und den sozialen Frieden hätte, will ich mir gar nicht ausmalen. Unser Wirtschaftssystem verteilt von unten nach oben. Im gleichen Maß werden Reiche immer reicher und Arme immer bedürftiger – weltweit ist eine menschenunwürdige Entwicklung zu beobachten. Unser Sozialsystem in Deutschland dämpft die schlimmsten Spitzen der Entwicklung ab und dafür kann ich den Mitarbeiter:innen sehr dankbar sein, dass ein Bewusstsein dafür herrscht, dass es diese Ungerechtigkeiten gibt und dass die meisten Menschen das nicht mit Absicht machen, weil sie sonst keine Chance hätten, ihr Leben finanzieren und ihr Leben zu leben. Wenn Kritik am Jobcenter und Beschwerden an mich herangetragen wurden, habe mir in den letzten sechs Jahren das angesehen und in allen Fällen gab es entweder Missverständnisse oder das Problem lag nicht am System Jobcenter. Das funktioniert prinzipiell gut, aber wo Menschen arbeiten, passieren auch Fehler. In den wenigen Fällen, wo Fehler vorlagen, wurden sie umgehend korrigiert. Insgesamt wird im Jobcenter Frankfurt gute Arbeit geleistet.

 

Claudia Czernohorsky: Durch die Regelsatzerhöhung zum 01.01.2023 wird den steigenden Lebenserhaltungskosten Rechnung getragen. Wir konzentrieren uns in dieser Situation darauf, den leistungsberechtigten Bürger:innen Qualifizierungschancen aufzuzeigen, die eine Perspektive auf eine nachhaltige Erwerbstätigkeit mit gutem Lohn eröffnen.

Herr Avenarius, als langjähriger alternierender Vorsitzender des Beirats bringen Sie die Sicht der Arbeitgeber in die Beratungen ein. Im Lauf der Jahre hat ein Paradigmenwechsel stattgefunden – statt hoher Arbeitslosigkeit jetzt ein zunehmender Fachkräfte- und Arbeitskräftebedarf. Liegt in dem weiterhin aufnahmefähigen Arbeitsmarkt nicht die große Chance des Jobcenters, Langzeitarbeitslose wieder in Jobs zu bringen?

Friedrich Avenarius: Die Langzeitarbeitslosigkeit ist ein Kernproblem des Arbeitsmarkts. Leider ist sie im Zuge der Coronakrise sprunghaft angestiegen. Je länger die Arbeitslosigkeit dauert, desto mehr werden einmal erworbene Qualifikationen entwertet und passen immer weniger zu den Anforderungen der Arbeitswelt. Hinzu kommt, dass rund zwei Drittel der Langzeitarbeitslosen keinen Berufsabschluss haben. Deshalb müssen Langzeitarbeitslose gefördert und gefordert werden. Die hessische Wirtschaft kann jeden motivierten Mitarbeiter gebrauchen. In unseren Betrieben sind derzeit weit über 100.000 Stellen unbesetzt. Flexible Beschäftigungsformen wie Zeitarbeit, befristete Arbeitsverhältnisse und Teilzeit sind für Langzeitarbeitslose das Sprungbrett in Beschäftigung. Diese Jobchancen dürfen nicht durch immer neue Regulierungen geschwächt werden. Die Jobcenter müssen gesundheitliche Einschränkungen der Langzeitarbeitslosen erfassen und frühzeitig Reha-Maßnahmen einleiten, damit die Beschäftigungsfähigkeit schnell wieder hergestellt wird. Darüber hinaus ist ein funktionsfähiger Sanktionsmechanismus unentbehrlich für die konsequente Aktivierung von Langzeitarbeitslosen.

Claudia Czernohorsky: Es gibt nicht DEN (Langzeit)-Arbeitslosen. Oft ist es eine Verstrickung verschiedener Umstände. Deshalb ist für uns die individuelle Unterstützung enorm wichtig, beratend zur Seite zu stehen und einen langen Atem zu haben. Einer der wesentlichen Gründe ist die fehlende Qualifizierung. 12.913 Langzeitleistungsbeziehende haben keinen Berufsabschluss, 2.354 keinen Schulabschluss. Hinzu kommen mangelnde Sprachkenntnisse und instabile Lebenssituationen, z. B. im Bereich der physischen und psychischen Gesundheit, durch Schulden, die Wohnsituation bis hin zu Obdachlosigkeit, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf bzw. die Betreuungsfrage besonders bei Alleinerziehenden und schließlich eine schwierige allgemeine Ausgangslage, etwa durch Vorstrafen.

Zudem führt lange Arbeitslosigkeit oft zu fehlendem Mut und Ängsten, da die Betroffenen schon zu lange aus dem Arbeitsleben heraus sind.

Philipp Jacks: In der Tat geht es darum, in der gegenwärtigen Situation alle Potenziale voll auszuschöpfen und verstärkt auf Qualifizierung zu setzen. Die Bürgergeldreform enthält einige Ansätze: Der Vermittlungsvorrang und der Zwang zur Aufnahme von prekären Beschäftigungsverhältnissen werden abgeschafft. Dass die Teilnehmer:innen von abschlussbezogenen Weiterbildungsmaßnahmen einen Qualifizierungsbonus von 150 Euro erhalten sollen, sehen wir als DGB ebenfalls als Fortschritt an. Zur Wahrheit gehört aber auch: Die Jobcenter sind chronisch unterfinanziert. Das Jobcenter Frankfurt wird 2023 um mehrere Millionen gekürzt werden. Hier ist eine Diskrepanz: Gleichzeitig werden mehr Aufgaben übertragen und Mittel gestrichen.

Welche Lösungsansätze sehen Sie, damit der Fach- und Arbeitskräftemangel nicht zur Wachstumsbremse wird?

Friedrich Avenarius: Ich halte folgende Maßnahmen für zielführend: Ältere, Frauen mit Migrationshintergrund und Schwerbehinderte müssen noch mehr am Erwerbsleben teilnehmen. Auch die Bemühungen, noch mehr Arbeitslose in Arbeit zu bringen, müssen gesteigert werden. Selbst bei optimaler Ausschöpfung des inländischen Arbeitskräftepotenzials bleibt jedoch eine große Fachkräftelücke. Eine verstärkte qualifizierte Zuwanderung für Fachkräfte aus dem Ausland muss weiter erleichtert werden. Die Nachwuchssicherung bleibt in den kommenden Jahren eine der zentralen Herausforderungen für die Wirtschaft. Schülerinnen und Schüler tun sich schwer mit der Berufsorientierung. Sie sind in Bezug auf ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt verunsichert. Ziel muss sein, dass kein junger Mensch die Schule ohne Abschluss verlässt. Wir müssen das Interesse von Jugendlichen und ihrem Umfeld an einer Ausbildung durch Aufzeigen der vielfältigen Ausbildungsmöglichkeiten stärker wecken. Wenn Fach- und Führungskräfte fehlen, müssen die Unternehmen produktiver werden und die Arbeit anders verteilen. Durch die Digitalisierung wird uns die Arbeit nicht ausgehen, sondern die Arbeit wird sich verändern. Digitalisierung und Automatisierung sind zum Teil die Lösung. Sie sollten als Chance und nicht als Gefahr für Arbeitsplätze gesehen werden.

Claudia Czernohorsky: Wir müssen Fachkräfte generieren und qualifizieren. Deshalb fördern wir die Qualifizierung leistungsberechtigter Bürger:innen und ermutigen gerade junge Menschen, den Weg in den Arbeitsmarkt über eine Berufsausbildung zu gehen. Unser Arbeitgeberservice hält hier engen Kontakt zu Arbeitgebern und unterstützt das Matching von Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern und Bewerberinnen und Bewerbern. Wünschenswert wäre für mich jedoch, dass Arbeitgeber noch weiter einen Schritt in Richtung Bewerber:innen zugehen. Ein Beispiel, es gibt Arbeitgeber, in der Gastronomie oder auch im Bankwesen, die Bewerberinnen und Bewerber eingestellt haben und den Sprachkurs dann in dem Betrieb und während der Arbeitszeit stattfinden lassen. Hier ist das Stichwort: Passgenaue Qualifizierung durch den Arbeitgeber, der den Arbeitnehmer mit seinen/ihren Kompetenzen doch am besten kennt!

Philipp Jacks: Beim Fachkräftemangel müssen auch die Arbeitgeber liefern. Es kann nicht sein, dass über Fachkräftemangel geklagt wird, aber die Unternehmen nicht bereit sind, dafür der Gesellschaft etwas anzubieten und immer nur fordern. Z. B. wenn Azubis fehlen, dann muss man gerade in der Region Frankfurt den Azubis etwas anbieten angesichts der hohen Mietkosten. Man kann sich als Azubi von der Ausbildungsvergütung keine Wohnung leisten. Ein Ansatz sind Azubi-Wohnheime, an denen sich die Unternehmen beteiligen müssen.

Wir haben zwei Kategorien von Fachkräftemangel. Das eine ist der Bereich mit niedrigen Löhnen und schlechten Arbeitsbedingungen, das andere der Bereich mit hochqualifizierten Spezialisten. In beiden Fällen kann die öffentliche Hand nichts daran ändern. Das müssen die Arbeitgeber selber machen. Im Bereich Hotel und Gastronomie haben die Arbeitgeber inzwischen den Handlungsbedarf eingesehen und bei den Tarifabschlüssen einem Plus von 16 Prozent nach der Pandemie zugestimmt. Sie haben eingesehen, dass man ohne guten Lohn keine Fachkräfte bekommt.

 

Bei der Qualifizierung wie bei der Vermittlung ist das Jobcenter auf die Mitwirkung von Partnern angewiesen und braucht leistungsfähige „Träger“. Kann das Netzwerk funktionieren, wenn sich die Träger dem Preiswettbewerb von Ausschreibungen stellen müssen?

Friedrich Avenarius: Wenn es hier um öffentliche Mittel geht, brauchen wir beides: Eine gute Qualität von Bildungsmaßnahmen und einen angemessenen Preis. Die Ausschreibung ist das zugegebenermaßen nicht ganz unbürokratische Instrument, dieses Ziel zu erreichen. Wichtig ist, dass die Ausschreibungsbedingungen vom Jobcenter so gestaltet werden, dass eine erfolgreiche Bildungsarbeit möglich wird und nicht einfach der Billigste den Zuschlag erhält.

Claudia Czernohorsky: Für Bildungsangebote ist das Geld nicht alleiniges Kriterium in einer Ausschreibung. Eine Ausschreibung beinhaltet auch Qualitätsmerkmale und -standards. Wichtig ist, dass die Verantwortlichen bei den Bildungsträgern gemeinsam mit den Mitarbeitenden des Jobcenters die Bürger:innen beraten und Menschen in der Qualifizierung und bei der Arbeitsaufnahme begleiten. Wir sehen im Rahmen des Bürgergeldes in der Weiterbildungsprämie ein gutes Instrument, um Bürgerinnen und Bürger auch finanziell belohnen zu können, wenn sie an ihren Hemmnissen arbeiten und eine Qualifizierung machen.

Die Teilnahme an Maßnahmen der beruflichen Weiterbildung – in der Regel über einen Bildungsgutschein – ist ein Weg, der andere ist das Training on the job. Sind die Unternehmen hier mehr gefordert? Reichen die Instrumente Eingliederungszuschuss und Qualifizierungschancengesetz und die Förderung durch das Teilhabechancengesetz?

Friedrich Avenarius: Gerade der Strukturwandel bleibt als Herausforderung für die kommenden Jahre bestehen, Nur wer in Qualifizierung investiert, wird in der digitalen Transformation wettbewerbsfähig sein. Das gilt für Unternehmen und Betriebe gleichermaßen wie für Einzelne. Lebenslanges Lernen geht daher alle an – auch die Politik.

Die berufliche Weiterbildung liegt in erster Linie in der Verantwortung der Unternehmen und ihrer Mitarbeitenden. Im Zuge der digitalen Transformation sollte die Landesregierung maßvoll flankieren. Staatliche Beratungs- und Qualifizierungsangebote sind so zu gestalten, dass sie Zukunftskompetenzen fördern. Also Fähigkeiten, die in den Unternehmen und am Arbeitsmarkt tatsächlich nachgefragt werden. Konkrete Maßnahmen hierfür können ein Weiterbildungsdarlehen und der Ausbau des Online-Tests „DigiCheck-Kompetenzen“, der vom Hessischen Digitalministerium betrieben wird, sein.

Claudia Czernohorsky: Durch den Eingliederungszuschuss, die Umwandlungsprämie und das Teilhabechancengesetz unterstützen wir Arbeitgeber, die leistungsberechtigten Bürger:innen und Bürgern in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung aufzunehmen. Die Statistik zeigt, dass das Teilhabechancengesetz zu Erfolgen führt: Mit der zweijährigen Förderung nach § 16e SGB II konnten sowohl 2021 als auch 2022 über 58 % der Jobcenterkund:innen in den Betrieben ohne Förderung weiterbeschäftigt werden. Bei der 2019 eingeführten fünfjährigen Vollförderung nach § 16i sind Aussagen erst im Jahr 2024 möglich.

 

Sehen Sie in den ukrainischen Geflüchteten ein Potenzial für den Frankfurter Arbeitsmarkt?

Friedrich Avenarius: Momentan ist schwer zu sagen, wie sich das Beschäftigungsinteresse und die Bleibeperspektive der Geflüchteten entwickeln. Mehrheitlich flüchten derzeit Frauen, Jugendliche und Kinder. Das Rhein-Main-Gebiet zeichnet sich als Standort für bedeutende Unternehmen aus. In einer immer stärker vernetzten Wirtschaftswelt bedeutet eine hohe Internationalisierung einen Standortvorteil, der gepflegt und ausgebaut werden sollte. Eine duale Ausbildung dürfte vor allem für jugendliche ukrainische Geflüchtete in Frage kommen. Für Mütter, die eine Betreuung gewährleisten müssen, ist eventuell auch eine Teilzeitausbildung interessant. Sollten die Voraussetzungen für eine Ausbildung noch nicht bestehen, hilft das Instrument der Einstiegsqualifizierung. So kann eine Ausbildung im Betrieb ein halbes oder ganzes Jahr vorbereitet sowie Fertigkeiten, Sprache und Kenntnisse im Betrieb erworben werden. Mit der Teilqualifizierung können Geflüchtete, die als Un- oder Angelernte eine Tätigkeit ausüben, sich systematisch und in Etappen auf einen Berufsschulabschluss vorbereiten. Dieses Instrument kommt insbesondere für Geflüchtete in Frage, die fachfremd Aufgaben übernehmen und einen Berufsabschluss nachholen wollen. Das Bildungswerk der Hessischen Wirtschaft (BWHW) bietet verschiedene Angebote an, in denen Menschen unterschiedlicher Herkunft gemeinsam lernen und auf dem Weg zu einer Berufsausbildung oder bei Berufseinstieg in Deutschland unterstützt werden.

Claudia Czernohorsky: Seit Beginn der Aufnahme Geflüchteter aus der Ukraine ins SGB II zum 1. Juni 2022 erfolgte ein gutes Profiling (Sprachkenntnisse und Qualifikationen) und eine gute Beratung. Den Betroffenen wurden Wege aufgezeigt, wie sie mit ihren im Heimatland erworbenen Qualifikationen im Frankfurter Arbeitsmarkt Fuß fassen können. In den meisten Fällen bedeutet dies, dass der Weg zunächst mit dem Erlernen der deutschen Sprache bis zu einem Sprachniveau B2 starten muss. Dies ist auch eine Erkenntnis aus der DEHOGA-Messe am 05.08.2022, die für die Geflüchteten aus der Ukraine ausgerichtet wurde. Die Aussteller (bzw. Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber) meldeten zurück, dass eine Aufnahme der interessierten Bewerberinnen und Bewerbern ohne Sprachkenntnisse nicht möglich ist. Deutschförderung ist demnach vorrangig.

18 Jahre nach „Hartz IV“ steht nunmehr eine weitere Reform des Systems bevor. Welche Erwartungen haben Sie an das „Bürgergeld“ und seine Wirkungen?

Claudia Czernohorsky: Das Bürgergeld betrachte ich als eine wichtige Reform, in die auch unsere Erfahrungen aus den letzten Jahren eingeflossen sind. Bei den Fördermöglichkeiten wird unser Instrumentenkasten größer. Mehr Fördermöglichkeiten bei Weiterbildungen, mehr Motivation durch das neue Weiterbildungsgeld und der Wegfall des Vermittlungsvorrangs stehen für einen klaren Fokus auf Bildung und Nachhaltigkeit der Vermittlung. Darauf bereiten wir uns nun vor. Die verbesserten Hinzuverdienst-Möglichkeiten betrachte ich als einen Schritt in die richtige Richtung. Dieser Punkt ist in der aktuellen Diskussion zum Bürgergeld unumstritten.

Friedrich Avenarius: Mit dem Bürgergeld werden Arbeitsanreize geschwächt, Sozialleistungen ausgeweitet und neue Brücken in die Frühverrentung gebaut. Das Bürgergeld verschlechtert die Situation auf dem Arbeitsmarkt, weil es auf arbeitsmarktpolitischen Rezepten der Vergangenheit beruht. Höhere Vermögensfreigrenzen bedeuten mehr Anspruchsberechtigte. Gleichzeitig soll mit dem Bürgergeld das Kriterium der Hilfebedürftigkeit in den Hintergrund gedrängt und Sanktionen geschwächt werden. Im Vermittlungsausschuss konnten glücklicherweise einige der Mängel des Bürgergeld-Gesetzes etwas korrigiert werden. Insgesamt wird jedoch die Tendenz des Abschieds vom aktivierenden Sozialstaat weiter vorangetrieben. Das ist eine grundlegende Fehlentwicklung. Vor dem Hintergrund des Arbeitskräftemangels sind die neuen Anreize zum Verharren im Leistungsbezug und die neue Frühverrentungsbrücke fatale Fehlentscheidungen. Arbeitsmarktpolitisch richtig ist das Gegenteil – also die Beibehaltung des erfolgreichen Grundsatzes von Fördern und Fordern sowie höhere Freibeträge für selbst verdientes Einkommen. Die Aufnahme und die Ausweitung von Beschäftigung – möglichst in Vollzeit – muss immer die lohnendste Alternative sein.

Philipp Jacks: Hier möchte ich intervenieren. Die Gruppe, auf die man besonders achten muss, sind nach meiner Auffassung die Menschen, die sich mit Höchsteinkommen ein schönes Leben machen. Von der Grundsicherung des Jobcenters kann sich wirklich keiner ein schönes Leben machen, vor allem nicht in Frankfurt. Es geht also nicht um eine „soziale Hängematte“ bzw. darum, die Menschen, die kaum genug Geld haben, um ihr Leben zu finanzieren, zu zwingen, jede prekäre Arbeit anzunehmen. Wir haben ein System der fortschreitenden Umverteilung von unten nach oben. Die niedrigsten Löhne sind zwar in den letzten fünf Jahren gestiegen, aber der Abstand zu den oberen und mittleren Einkommen ist deutlich größer geworden. Wir müssen also darüber reden, wie wir das Geld von oben nach unten verteilen können.

Ich hoffe, dass das Bürgergeld seine positiven Wirkungen haben wird. Die Menschen in der Grundsicherung des Jobcenters sind nicht generell faul oder arbeitsunwillig, sondern einfach nicht leistungsfähig genug, ein auskömmliches Einkommen zu erwirtschaften. Deshalb ist es der richtige Ansatz, ihre Stigmatisierung aufzuheben. Ich bin gespannt, ob tatsächlich so viele Menschen den Wegfall von Sanktionen missbrauchen. Wenn dadurch, dass weniger Sanktionen verhängt werden, weniger Menschen zum Jobcenter kommen, ist mehr Luft, andere intensiver zu betreuen. Dies könnte sich einigermaßen ausgleichen: Menschen, die wollen, kann das Jobcenter besser versorgen und andere, die nicht wollen und auch nicht können und seit Jahren im System sind, auch zu Terminen erscheinen, aber nicht weiterkommen und denen nicht geholfen werde kann, können in Ruhe gelassen werden – wenn sie von der Grundsicherung leben können. Ein gutes Leben ist dadurch nicht möglich.

Frau Czernohorsky, Sie haben für 2023 Ihren Ruhestand angekündigt. Welche Herausforderungen sehen Sie bis dahin für sich selbst und dann für Ihre Nachfolge?

Claudia Czernohorsky: Die offensichtliche Herausforderung für die Zeit bis zu meinem Ruhestand wird die Einführung des Bürgergeldes zum 01.01.2023 sein. Dies bedeutet zunächst die Regelsatzerhöhung zum 01.01.2023 vorzubereiten und die Anpassung unserer komplexen IT-Systeme vorzunehmen. Zum Jahresbeginn rechne ich damit, dass das Jobcenter Frankfurt mehr Neuanträge zu bearbeiten hat. Jede Bürgeranfrage bezüglich der Leistungsberechtigung wird von uns in Form eines Neuantrags ordentlich geprüft und beschieden werden. Für meinen Nachfolger oder Nachfolgerin wird es sicherlich eine Herausforderung (im positiven Sinne) sein, die weitere Einführung des Bürgergeldes zum 01. Juli 2023 zu begleiten und in die Wege zu leiten. Erst zum Juli 2023 stehen die Themen Kooperationsplan, Weiterbildungsprämien, Weiterbildungsverbünde etc. auf der Umsetzungsagenda. Das Jobcenter Frankfurt ist mit rund 960 Mitarbeitenden das größte Jobcenter in Hessen und eines der 10 größten Jobcenter im Bund. Mit vielen unterschiedlichen Angeboten (Lebenslagenberatung, Fallmanagement, ProGes, SQZ, Wertekanon Familienstart und ABC) leben wir schon viele der im Bürgergeld betonten Aspekte. Wir stellen den Menschen in den Mittelpunkt unseres Handelns! Wir nutzen den Gestaltungsraum, den das Gesetz uns als Exekutive gibt und ich setze auf eine Entwicklung in der Grundsicherung, die dem Sozialstaat alle Ehre macht!

Philipp Jaks: Dieses Gespräch zeigt, wie gut es ist, dass es das Jobcenter gibt, und wie wichtig diese Einrichtung gerade in Krisenzeiten ist. Dafür haben alle, die diese Arbeit leisten, meinen höchsten Respekt.

Friedrich Avenarius: Dem kann ich mich tatsächlich anschließen. Das bestätigt mich in meinem Eindruck, dass in Frankfurt eine gute Arbeit geleistet wird. Dafür möchte ich mich bei dieser Gelegenheit sehr herzlich bedanken. Wir hatten stets eine sehr gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit und wurden als Mitglieder des Beirats mit unseren Empfehlungen ernst genommen. Der Dank gilt Ihnen persönlich, Frau Czernohorsky, und auch dem ganzen Team. Sie haben unter den gegebenen Rahmenbedingungen einen sehr guten Job gemacht.