PersonalDirekt Frankfurt Das Onlinemagazin des Jobcenters Frankfurt am Main
Das Onlinemagazin des Jobcenters Frankfurt am Main

„Die Nähe zu den Bürgern aktiv gestalten“ Jobcenter-Geschäftsführerin Claudia Czernohorsky-Grüneberg über die aktuellen und neuen Herausforderungen

Frau Czernohorsky-Grüneberg, das von Ihnen geführte Jobcenter Frankfurt am Main handelt in einem gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Kontext. Dies zeigt der „Claim“, den Sie als Leitbild Ihrer Arbeit entwickelt haben: „Sicherheit. Verbundenheit. Perspektive.“ Im Spannungsfeld dieser drei Pole gestalten Sie Ihr jährliches Arbeitsmarkt- und Integrationsprogramm, über das wir in der vorangegangenen Ausgabe dieses Magazins ausführlich berichtet haben. Bevor wir über die aktuellen und neuen Herausforderungen sprechen, sollten wir uns die Erfolge des vergangenen Jahres und der letzten Monate vergegenwärtigen: Was haben Sie erreicht? Wo waren Sie besonders erfolgreich? Wo haben Sie Ihre Ziele in dieser „Zeitenwende“ vielleicht sogar übertroffen?


Die letzten Jahre haben uns deutlich erleben lassen, wie wichtig der direkte, persönliche Beratungskontakt zu den Bürger:innen ist. Das gilt insbesondere bei der Beratung in komplexen Lebenslagen, wie wir sie häufig im Jobcenter Frankfurt vorfinden. Deshalb möchten wir den Kontakt zu den Bürgern aktiv gestalten, um sie in ihrer Lebenssituation noch individueller unterstützen zu können. Das umfasst zum einen die Form des Kontaktes, ob von zu Hause telefonisch oder online, bei uns in den Häusern in einem Beratungsgespräch oder bei einem gemeinsamen Spaziergang „walk and talk“ möchten wir unsere Kund:innen dort begegnen, wo sie sind. Mit spezifischen Angeboten gehen wir auf die vielfältigen Anliegen der Bürger :innen ein. In Projekten, wie der Lebenslagenberatung oder ProGes, arbeiten wir eng mit den Menschen zusammen, um ihre persönliche Situation zu verbessern und ihre Hilfebedürftigkeit Schritt für Schritt zu verringern. Gerade im Bereich der Arbeit von ProGes, nämlich gesundheitlich eingeschränkte Kund :innen zu unterstützen, verzeichnen unsere Coaches gute Erfolge. Die Arbeit mit den geflüchteten Menschen aus der Ukraine zeigt deutlich, dass es wichtig ist, die Menschen in ihrer persönlichen Lebenssituation anzunehmen, in einem Profling die Kompetenzen herausarbeiten, damit eine qualifikationsadäquate Beratung und Vermittlung in Arbeit gelingen kann. Auch hier verzeichnen wir die ersten Erfolge.

Aktuell haben wir seit Jahresbeginn einen Stand von 4.286 (14.06.2022) erfolgreichen Integrationen in Arbeit und bewerben aktiv die Weiterbildung und Qualifizierung unserer Kund :innen. Ich bin auf das hohe Engagement meiner Kolleg:innen stolz. Sicherheit. Verbundenheit. Perspektive – diese Werte sind für uns handlungsleitend.

„Ich bin auf das hohe Engagement meiner Kolleg:innen stolz.“

 

In einer fortlaufenden Optimierung passen Sie Ihre Geschäftsprozesse immer wieder den Notwendigkeiten an. Ein Beispiel für den organisatorischen Wandel ist das Jugendjobcenter, das Sie vor einigen Jahren eingerichtet haben. Wo steht die Arbeit mit den Jugendlichen und jungen Erwachsenen (U 25) heute?


Nachdem das Jugendjobcenter (JJC) im April 2014 am Standort Hainer Weg für das gesamte Stadtgebiet an den Start ging, hat es sich kontinuierlich weiterentwickelt, Arbeitsprozesse hinterfragt und verändert. Stand Juli 2022 können wir sagen, wir bieten im JJC eine ganzheitliche Beratung in allen Fragen des Übergangs Schule und Beruf an und dies für alle Zielgruppen (auch Reha und JC Mitte) in der Altersgruppe bis 25, bei jungen Menschen mit Fluchthintergrund bis 27 Jahren. Die Beschäftigten des JJC haben kontinuierlich ihre Beratungskompetenz ausgebaut und auf neue Herausforderungen hin angepasst. So haben beispielsweise alle Beschäftigten aus dem Bereich Markt und Integration ein Kompetenztraining durchlaufen, welches die Arbeit mit der jugendlichen Zielgruppe unter Anwendung systemischer Tools und Coaching „barrierefreier“ gestalten soll. Auch der im JJC eigene AGS U 25 hat sich seit 2018 etabliert und unterstützt sowohl Kolleg:innen, Kund:innen als auch Arbeitgeber:innen bei der Beratung sowie Vermittlung in Ausbildung und Arbeit. Das Thema „Ausbildung“ wird das ganze Jahr über intensiv „bespielt“.

Zudem bietet das heutige JJC aufsuchende Arbeit in den Stadtteilen an, ein weiterer Meilenstein um Jugendliche, die kaum oder keine Beziehung in das SGB II haben zu erreichen.

Getreu dem Motto: deine Zukunft beginnt jetzt, arbeitet das JJC auch mit jungen Erwachsenen daran, durch entsprechende Qualifikationen den Weg in eine berufliche Zukunft zu ebnen.

 

Ein anderes Beispiel ist der Arbeitgeberservice, Ihre Schnittstelle zu den Betrieben und zum Arbeitsmarkt. Sie haben ihn jetzt neu aufgestellt. Mit welchem Ziel?


Die Stadt war schon immer in seinen Stadtteilen bunt und vielfältig, mit der Pandemie sind die Quartiere der Stadt gefühlt noch einmal näher zusammengerückt. Deshalb haben wir uns in diesem Jahr dafür entschieden, dass wir auch unseren Arbeitgeberservice stärker in die Quartiersarbeit einbinden möchten und den arbeitgeberorientierten AGS dezentralisiert.

An den Standorten des Jobcenters JC Nord, JC West, JC, Ost, JC Süd und JC Höchst sind nun jeweils Kolleginnen und Kollegen des Arbeitgeberservice in die Arbeitsvermittlungsteams eingebunden. So verbinden wir die Schlüsselkompetenzen der Kolleg: innen der Arbeitsvermittlung mit den Kompetenzen der Kolleg: innen des AGS auf lokaler Ebene für Sie als Arbeitgeber: innen und unsere arbeitssuchenden Kundinnen und Kunden. So können wir uns enger mit den lokalen Betrieben über ihre Bedarfe austauschen und die passenden Kund:innen in die Betriebe vermitteln.

Jetzt ist die nächste große Herausforderung auf Sie zugekommen oder kommt noch auf Sie zu, die ukrainischen Geflüchteten. Sie gehören jetzt in den Zuständigkeitsbereich des SGB II und werden vom Jobcenter betreut. Über welche Zahlen sprechen wir aktuell?


Die Stadt hat bis zum 15. Juli 2022 in Frankfurt am Main 5.345 Bedarfsgemeinschaften aus der Ukraine registriert und an uns übergeben. Wir haben bereits 3.390 Personen in unseren Fachverfahren erfasst und zahlen 1.864 Bedarfsgemeinschaften Leistungen nach dem SGB II aus. Unter den gemeldeten Personen sind 2.998 erwerbsfähige Leistungsbeziehende, die wir zu Qualifizierung, Ausbildung und Arbeit beraten. Insgesamt rechnen wir mit einem Zuwachs von ca. 4000 Bedarfsgemeinschaften.

 

Welche Entwicklung erwarten Sie?


Mit Blick auf die Entwicklungen in der Ukraine, gehen wir davon aus, dass weiterhin Menschen aus der Ukraine nach Frankfurt flüchten werden. Die Menschen, die überwiegend Frauen und Kinder sind, werden großteils den Wunsch in sich tragen, wieder in ihr Heimatland zurückkehren zu können. Viele werden aber auch hierbleiben und sich ein neues Leben aufbauen. Unsere Aufgabe ist es, sie dabei aktiv zu unterstützen, ihnen eine berufliche Perspektive aufzuzeigen und ihre Hilfsbedürftigkeit zu reduzieren. Hier leisten wir einen großen Beitrag zur Integration.

 

Wie haben Sie sich im Jobcenter auf diese Herausforderung eingestellt?


Wir sind gut auf die Menschen vorbereitet. Wir haben frühzeitig Vorkehrungen getroffen, um einen reibungslosen Übergang der ukrainischen Geflüchteten aus dem Asylbewerberleistungsgesetz in das SGB II zu gestalten und arbeiten eng mit der Ausländerbehörde, dem BAMF und dem Jugend- und Sozialamt zusammen. Wir haben unsere Terminzeiten ausgeweitet, zweisprachige Antragsunterlagen erstellt, unsere Homepage um eine zweisprachige Ukraine-Seite ergänzt und unsere Häuser mit Dolmetscherinnen und Dolmetschern ausgerüstet. Ein mehrsprachiger Profilingbogen gibt uns im Aufnahmegespräch hinreichende Informationen über Ausbildungs- und berufliche Qualifikationen, so dass wir unsere Beratung zielgerichtet – mit Unterstützung der Dolmetscher: innen – anbieten und gestalten können.

 

Haben wir aus der syrischen Flüchtlingskrise der Jahre nach 2015 gelernt? Können und müssen wir jetzt anders vorgehen?


In einer solchen Notlage, müssen die Menschen sich erst einmal neu orientieren. Dazu gehören essenzielle Fragen, wie: Wie geht es meiner Familie? Wo wohne ich? Unsere Aufgabe ist es im SGB II, die Menschen zu stabilisieren und sie dabei zu unterstützen, ein neues Leben aufzubauen, in dem sie ihre Stärken und Qualifikationen einbringen können. Dieser Zweiklang von persönlicher Orientierung und qualifikationsadäquater Vermittlung am Arbeitsmarkt ist ein Vorgehen, welches wir aus der Flüchtlingskrise 2015 gelernt haben.

 

Erwarten Sie, dass der regionale Arbeitsmarkt für diesen Personenkreis – vorwiegend Frauen mit Kindern – aufnahmefähig ist?


Vor der Pandemie haben wir häufig von einem Fachkräftemangel gesprochen. In den vergangenen zwei Jahren haben sich die Bedarfe auf dem regionalen Arbeitsmarkt insbesondere am Flughafen, im Hotel- und Gaststättengewerbe und auch im Gesundheitswesen so zugespitzt, dass wir in vielen Branchen von einem Arbeitskräftebedarf sprechen. Die Menschen, die aus der Ukraine zu uns kommen, sind häufig gut qualifiziert. Wir haben die Daten von den Menschen, die sich bei uns registriert haben, ausgewertet und können sagen, dass rund die Hälfte eine berufliche Ausbildung oder ein Studium vorweisen kann. Wir sprechen mit den Menschen über ihre beruflichen Pläne und unterstützen sie dabei, qualifikationsgerechte Arbeit zu finden, ihre Deutschkenntnisse zu erweitern, die Integrationskurse für die deutsche Sprache zu besuchen und natürlich auch eine Betreuung für ihre Kinder zu finden. Deshalb gehen wir davon aus, dass der Arbeitsmarkt Menschen aus der Ukraine aufnehmen wird.

 

Eine andere Folge des Ukrainekriegs zeichnen sich jetzt schon ab, mit denen das Jobcenter und seine Kund:innen zu kämpfen haben, nämlich die Preissteigerungen. Was erwarten Sie für das Jobcenter? Können Sie mit einer Strategie wirksam gegensteuern oder liegen hier die Grenzen Ihrer Möglichkeiten?


Das Jobcenter kann hier keine eigenen Strategien zur Abfederung der Preissteigerungen einbringen. Aktuell sind vom Gesetzgeber Sonderzahlungen für unsere Kundinnen und Kunden auf den Weg gebracht, die die Preissteigerungen abfedern sollen und die durch das Jobcenter ausgezahlt werden. Im Wege der Beratung können wir Alternativen anbieten, die die finanzielle Belastung der Kundinnen und Kunden reduzieren (Tafeln, Second-Hand Märkte, etc.). Dies ist unabhängig von der aktuellen Situation grundsätzlich die Aufgabe in der Beratung.

 

Wir haben eingangs über den Kontext Ihres Handelns im Jobcenter gesprochen. Am Ende des Gesprächs, für das ich Ihnen sehr danke, müssten wir die globalen und weltpolitischen Rahmenbedingungen hinzufügen. Sind Sie trotz allem zuversichtlich?


Wir erfahren momentan vielerlei Herausforderungen, die unser Leben beeinflussen und verändern. Gefühlt sind wir im Dauerkrisenmodus! Ich halte es mit einem Ausspruch von Willy Brandt, der sagte, „Der beste Weg, die Zukunft vorherzusagen, ist, sie zu gestalten“. Diese offene und verhalten optimistische Haltung versuche ich vorzuleben!

Interview: Dr. Wolfgang Reister